Einer der größten neueren Irrtümer in Bezug auf die Mazedonier wollen wir heute gerade biegen – die angebliche Antikisierung Mazedoniens. Seit in der mazedonischen Hauptstadt das Bauprojekt Skopje 2014 vor etwa fast genau zehn Jahren angegangen wurde, haben Kritiker versucht das „Haar in der Suppe“ zu finden. Dabei handelt es sich aber keineswegs um architektonische Kritik.
Besonders Medien aus dem Ausland waren diejenigen, die ein fadenscheiniges Argument platzierten. Welches von jedem der anti-mazedonisch gesinnt ist seitdem rege Verwendung findet.
Das Argument, mit welchem man versuchte das Bauprojekt in ein schlechtes Licht zu Rücken, war kurz gesagt auch eine neue Wortschöfpung: „Antikisierung“.
Gut, ein bisschen haben wir jetzt übertrieben, denn das Wort „Antikisierung“ an sich existiert in der Fachsprache und bedeutet so viel wie (Zitat aus dem Duden): „nach der Art der Antike gestalten; die Antike nachahmen“.
In Bezug aber auf die Mazedonier ist dieses Wort eine neue Erfindung das nun mit fadenhaftem Geschmack an den Mazedoniern haften blieb. Man warf ihnen vor, ihr damaliger Premierminister Nikola Gruevski betreibe nicht nur eine bauliche Antikisierung, sondern antikisiere auch die mazedonische Nation – und das obwohl aus ihrer Sicht die Mazedonier nichts mit der Antike gemein haben.
Nicht nur das, obskure Geschichten und Stories wurden fabriziert, „der Mazedonier habe sich bis Dato nie mit der Antike verbunden gefühlt“ – sagen wir mal grob zusammenfassend.
Das man Alexander der Große als mazedonischen Nationalheld betrachte, sei ein Ergebnis der Politik Gruevskis und den „vielen Statuen zum nationalistischen Nation Building in Skopje“.
Auch vor Etikettierung schrecken die Medien nicht zurück. Mazedonier die sich heute auf Alexander den Großen berufen werden lapidar in westliche Medien als „Nationalisten“ abgestempelt. Siehe dazu ein Zitat aus der schweizerischen Zeitung NZZ:
„…Um eine nicht immer leicht zu beglaubigende Vergangenheit – so erheben gewisse Nationalisten gar Ansprüche auf Alexander den Grossen – sozusagen in Stein zu meisseln…“
Der Titel des Artikels lautet „Die Identitätssuche Mazedoniens treibt komplizierte Blüten“. Wie peinlich, …
Ähnliches lesen wir auch in dem Buch „Geschichte bauen: Architektonische Rekonstruktion und Nationenbildung vom 19. Jahrhundert bis heute“ von Arnold Bartetzky. Er geht sogar soweit, und behauptet, dass „Mazedonien eine Linie zur Antike versuche zu konstruieren.“
Ist das wirklich so? Versuchte Gruevski etwas zu konstruieren? Sagen wir es so, für diejenigen die schlichtweg keine Ahnung von mazedonischer Geschichte haben, könnte dies Argument der Antikisierung glaubhaft klingen.
Aber, diese sollten jetzt konzentriert weiterlesen. Denn folgendes werdet Ihr in solche Medien oder Werke wie oben als Beispiel erwähnt, nicht zu lesen bekommen…
Mazedonische Aussiedler und Alexander der Große im Jahr 1923
Das dies alles nur Märchen sind, und sich die Mazedonier schon seit Generationen mit den antiken Makedoniern identifizieren werden wir hier mit einem Beispiel zeigen. Und diese gibt es zu genüge.
Nicht nur werden wir dieses Argument widerlegen, mehr noch, wir werden zeigen das Mazedonier vor 100 Jahren die genau gleiche chronologische Folge makedonischer Persönlichkeiten aufzählten, wie es ein Mazedonier heute machen würde. Wenn man ihn Fragen würde, welche Persönlichkeiten Makedonien hervorgebracht habe und die Geschichte der Makedonier mit ihren Taten markierte.
So druckte die s.g. „Ilinden Organisation“ im Jahr 1923 einen Kalender, mit dem übergroßen Abbild des Makedonenkönigs Alexander der Große.
Die Ilinden-Organisation war eine Auswandererorganisation der mazedonischen Revolutionäre, die am gesamt makedonischen Ilinden-Aufstand im Jahr 1903 und an den Befreiungskämpfen Mazedoniens im ersten Weltkrieg teilnahmen. Die Ilinden-Organisation wurde im Frühjahr 1921 in Sofia als freiwillige und kulturparteiunabhängige Organisation gegründet. (Mehr über die Organisation am Ende des Beitrags)
„Makedonien und seine großen Söhne“
Die Überschrift des Kalenders aus dem Jahr 1923 (die Jahresangabe ist im großen Bild rechts unten erkennbar) lautet: Makedonien und seine großen Söhne!
Und als erster großer Sohn Makedoniens wird natürlich Alexander aufgeführt, der die komplette Seite bildlich ausfüllt. „Alexander der Große – Zar der Makedonier“ lautet die Bildüberschrift.
Unter dem Abbild von Alexander III von Makedonien finden wir eine Kolonne mit weiteren großen Söhnen Makedoniens. Dort lesen wir die Überschrift: “ Helden – Kämpfer für die Freiheit Makedoniens.“
Diese makedonischen Heldenkämpfer wären laut der Ilinden Organisation im Jahr 1923 (von links nach rechts):
- Die Heiligen Kyrill und Method
- Heiliger Naum von Ohrid
- Zar Samoil
- Petar Karposh (vielleicht auch Krali Marko)
- Trajko Kitanchev
- Goce Delcev
- Dame Gruev
- Boris Sarafov
- Anastas Jankov
Wer waren die großen Söhne Makedoniens?
Zu den ersten Fünf, müssen wir hier keine großen Worte verlieren: Alexander, Kyrill und Method, Naum und Samoil sind als historische Figuren durchaus global bekannt. Das dürfte bei den meisten Mazedoniern auch auf die IMRO-Mitglieder Goce Delcev und Dame Gruev zutreffen, schließlich werden diese beiden Freiheitskämpfer in der mazedonische Hymne besungen.
Ebenso ist Boris Sarafov den meisten Mazedoniern ein Begriff, der ebenfalls ein Freiheitskämpfer im Kampf gegen die Osmanen wie Delcev und Gruev war.
Bei einem Bild aber scheiden sich die Geister. Da keine genaue schriftliche Überlieferung zu den Bildern existiert, sind die Mazedonier zweigeteilt ob es sich bei Bild Nummer 4 in der Kolonne um König Marko oder Petar Karposh handelt. Auch wenn viele eher zu Krali Marko tendieren, meinen wir, das der Bart und Blitz verrät das es sich um Karposh handelt. Begründbar natürlich damit, dass er im Jahr 1689 einen Aufstand gegen die Osmanen anführte. Dieser wird in der mazedonischen Geschichtsschreibung allgemein als der erste Aufstand gegen die Türken betrachtet.
Die übrigen zwei großen Söhne, Anastas Jankov und Trajko Kitanchev, sind derweil weniger bekannt. Letzterer war der Erste Vorsitzende des s.g. „Obersten Makedonisch-Adrianopeler-Komitees“. Auch als „Oberstes Makedonisches Komitee“ bekannt. Ebenfalls eine politische und revolutionäre Organisation der Mazedonier. Zu dieser gehörte auch Jankov. Er war einer der heftigsten ideologischen Gegner der IMRO, ob nun Makedonien von Innen mit einem Aufstand oder von Außen durch Intervention von Bulgarien/Russland befreit werden sollte.
Mazedonier! Erinnert Euch an den großen Eroberer der Welt, den Weltruhm Makedoniens, den großen Alexander der Makedonier!
Von Jankov existiert eine Überlieferung, die in diesem Zusammenhang der Antikiserung ein wichtiges Zeugnis darstellt, dass jene Argumente „Mazedonier hätte sich erst mit Gruevski zur Antike bekannt“ zusätzlich verstummen lässt.
Im Jahr 1902 erreichte Jankov die Stadt Kostur in Ägäis Makedonien (neugriechisch Kastoria) mit einer größeren Schaar Freiheitskämpfer und wandte sich an die dortige Bevölkerung mit den Worten:
„Mazedonier! Erinnert Euch an den großen Eroberer der Welt, den Weltruhm Makedoniens, den großen Alexander der Makedonier; Erinnert Euch an den tapferen König Samoil, den großen Makedonier, den schönen Krali Marko, den allgemeinen slawischen Ruhm, dass makedonisches Blut in ihnen floss; Sie wachen über den Himmel und segnen unser Bestreben. Wir als Nachkommen sollten sich ihnen würdig zeigen, ihre herrlichen Namen zu bewahren und die Welt mit unserem Mut, unserer Geschicklichkeit und Selbstaufopferung zu überraschen; das beschämende Joch abzuschütteln, das uns fünf Jahrhunderte lang erstickt.“
Quellen für das Zitat findet Ihr am Ende des Beitrags!
Antikisierung der Mazedonier eine neue große Lüge
Wie wir nun gesehen haben, kann eine so genannte „Antikisierung der mazedonischen Nation unter Gruevski“ gar nicht stattgefunden haben. Aus dem ganz einfachen Grund, die Mazedonier hatten keine Doktrin der Antikisierung nötig.
Während sich die Mazedonier bewusst sind, wo ihre Wurzeln liegen und wer die Vorväter der nationalen Geschichte sind, scheinen es jene außerhalb Mazedoniens nicht mitbekommen zu haben. Oder wollen es schlicht negieren.
Die Mazedonier vor hundert Jahren, zählten zu ihrer „nationalen Historie“ Alexander den Großen, die Heiligen Kyrill und Method als auch Naum. Den Zaren Samoil sowie die Kämpfer gegen die osmanische Besatzung, welche letztendlich fünf Jahrhunderte bis 1913 andauerte.
Man sollte hier nicht vergessen, die Mazedonier hatten zu dieser Zeit als dieser Kalender veröffentlicht wurde, weder einen eigenen Staat, noch irgendeine einheitliche staatliche Doktrin, weder ein Bildungssystem noch alles weitere was von Nöten gewesen wäre, eine Nation zu „antikisieren“. Ganz im Gegenteil, sie waren Bürger des Bulgarischen Staates geworden nachdem sie aus der Heimat flohen (siehe im folgenden Abschnitt zur Ilinden-Organisation).
Es ist somit erstaunlich, das ein Mazedonier heute im Jahr 2020 fast die genau gleiche Reihenfolge an Personen aufzählen würde, würde man ihn Fragen welche Persönlichkeiten die makedonische Geschichte markierten.
Vielleicht mit einem Unterschied, er würde vielleicht noch mehr Persönlichkeiten nennen. Denn, in den letzten hundert Jahren sind noch einige „große Söhne“ in Makedonien hervorgegangen, die für die Freiheit Makedoniens kämpften…
Ilinden-Organisation
Die Ilinden-Organisation war eine Auswandererorganisation der mazedonischen Revolutionäre, die am gesamt makedonischen Ilinden-Aufstand im Jahr 1903 und an den Befreiungskämpfen Mazedoniens im ersten Weltkrieg teilnahmen. Die Ilinden-Organisation wurde im Frühjahr 1921 in Sofia als freiwillige und kulturparteiunabhängige Organisation gegründet.
Die mazedonische Auswanderer Organisation hatte ein eigenes Sprachrohr, die Zeitung „Ilinden“, die ab dem 30. Juli 1921 unter der Redaktion von A. Panov erschien.
Lesetipp: IMRO: Erinnerungen an die glorreiche alte Vergangenheit der Mazedonier
Solche mazedonische Auswanderer Organisationen wurden in mehreren Städten gegründet. Der Gründungskongress der Organisation fand in Sofia (19.-21. Januar 1923) statt, die Verfassung wurde angenommen, die Führung von 7 Mitgliedern wurde mit Präsident Georgi Zankov gewählt. Die Organisation hat sich mit dem Herausgeber Arsenij Jovkov zu Mazedoniens Autonomie und Unabhängigkeit in der Balkan-Föderation, vertreten durch das Ilinden-Gremium, geäußert.
1924, nach der Ermordung des Herausgebers Jovkov, fiel es unter den Einfluss der Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation VMRO.
Auf dem Zweiten Kongress der Organisation (12.-13. Juli 1925) wurden Zankov und Jovkov (posthum) aus der Führung ausgeschlossen. Das neue Management begann mit der Veröffentlichung einer neuen Zeitung „Illustration Ilinden“ unter der Leitung von P. Mrmev und Hristo Shaldev (siehe Bild, Ausgabe vom Dezember 1927).
Nach dem Putsch in Bulgarien vom 19. Mai 1934 wurde die Organisation verboten. Während des Zweiten Weltkriegs (1941–1944) nahm es seine Aktivitäten wieder auf.
Nach dem 9. September 1944 wurde die Veröffentlichung der Ilinden-Illustration eingestellt. Am 21. Juli 1945 wurde eine neue Führung gewählt: Stefan Avramov – Präsident, Milan Angelov (Vizepräsident), Sekretär Nikola Paunchev und Marisa Kazaski, Nikola Konstantinov (Schatzmeister) und die beiden Ratsmitglieder Bozin Prodanov und Toma Karchov. Die Führung war der neuen kommunistischen Regierung Bulgariens treu, mit Ausnahme von Bozin Prodanov, der ein Jahr später von der Führung ausgeschlossen wurde.
Im Oktober 1946 erfüllten die Mitglieder der Organisation ihr Gelübde, die Überreste von Goce Delchev in die Hauptstadt des freien Mazedonien zu überführen.
Am 15. Juni 1947 lösten die bulgarischen Behörden die Organisation auf.
Lesetipp: Die Alexander Statue in Skopje – Das neue Wahrzeichen der Stadt
Literatur:
- Die Identitätssuche Mazedoniens treibt komplizierte Blüten – ein Foto-Tableau von Michal Siarek, NZZ, von Angela Schader und Gilles Steinmann
- „Geschichte bauen: Architektonische Rekonstruktion und Nationenbildung vom 19. Jahrhundert bis heute“ von Arnold Bartetzky
- Ilinden-Organisation, Wikipedia auf Mazedonisch
- Anastas Jankov, Wikipedia auf Mazedonisch
Zitat von Jankov:
- „Rad makedonskih komiteta,“ Branik, XVIII, 131, Novi Sad, 26.IX / 9.10. 1902, Seite 2
- „Povik kon Makedoncite“, potpišan od polkovnik A. Jankov i 28 vnatrešni revolucioni rakovoditeli (v. „Reformi“, Seiten. 30-31, 14.09.1902)
QUELLE: Makedonien.mk